Neu in Deutschland - Nr. 10

7 Schule und Erinnerung In meiner Schule gehörten alle zu einer Partei. Wir wurden in diese Partei gezwungen. Aber als Kinder hatten wir dadurch auch das schöne Gefühl zusammenzugehören. Die Partei, die uns verband, war die Partei unseres Präsidenten. Jeden Morgen traten die Schülerinnen meiner Schule zum Fahnenappell an. Weil ich die beste Schülerin unserer Schule war, durfte ich vorne stehen und die Anfänge sprechen. Unsere Hände erhoben wir zur Fahne, der Körper gestreckt, die Augen auf die Fahne gerichtet. Wer nicht mitmachte, wurde bestraft. An manchen Schulen liefen Aufseherinnen mit Kabeln zwischen den Reihen entlang und schlugen diejenigen, die nicht mitmachten. Ich selbst wurde nie geschlagen, weil ich vorne stand, was ich als große Auszeichnung erlebt habe. Welche Texte gesprochen wurden? Darüber wollen wir nicht schreiben. Diese Worte sollen keineWichtigkeit bekommen. Nour Alzoubi (19) Ich finde auch: Was soll das? Was soll das in unserer Zeitung? Das wollen wir doch vergessen! Wir schreiben hier ja auch keine Zitate aus dem Krieg in Deutschland auf. Khaled Al Rifai (24) Die Älteren von uns haben übrigens andere Erinnerungen an ihre Schulzeit. Mit dem Jahr 2000 hat sich Syrien verändert. Das haben die Jüngeren nicht erlebt. Als ich zur Schule ging, mussten alle Kinder noch Militäruniformen tragen. Wir haben in der Schule gelernt, mit Waffen umzugehen und machten bei Militärparaden mit. Issam Al-Najm (34) Ich habe tatsächlich den Text vom Fahnenappell vergessen, wie ging das nochmal? Wir müssen das ja nicht aufschreiben, aber vergessen solltenwir es vielleicht auch nicht? Nour Alzoubi Wenn ich über die Schule nachdenke, möchte ich gerne viele Dinge aufschreiben. Aber ich wage es nicht... Immer denke ich: Was passiert meiner Familie in Syrien, wenn jemand das liest...? anonym Aber was soll passieren? Issam Al-Najm (34) Ein Autor muss auch seinen Namen nennen. Azeddin Darmach (70) Nein. Für mich in Deutschland ist das kein Problem. Aber für die Menschen in Syrien ist es ein Problem, wenn wir hier bestimmte Dinge aussprechen. anonym Das nid-Team trifft sich jede Woche im Bochumer Stadtteilzentrum Q1 - immer wieder gerne auch mit Gästen zum Gespräch. Fotos: Wolfgang Wedel Im Namen der Mutter In Syrien sprechen die meisten Menschen sich mit dem Vornamen an. Mein Vorname ist Nahed, aber viele nennen mich auch „Umkays“. Die Vorsilbe „Um“ bedeutet Mutter; Kays ist der Name meines Erstgeborenen. „Umkays“ bedeutet also: Die Mutter von Kays. Die Deutschen finden das merkwürdig und vor allem die deutschen Frauen reagieren oft empört. Aber ich fühle mich sehr wohl, wenn ich mit diesem Namen angesprochen werde. Der Name meines Sohnes hat einen guten Klang in meinem Ohren und ich bin sehr stolz darauf, Mutter zu sein. Meine Kinder sind meine Botschaften in den Ländern, die uns umgeben, und ich selbst bin das Land, das uns Leben gibt. Aber ich achte auch sehr genau darauf, dass dieses Land mein eigenes bleibt, und dass ich meine Rechte darin behalte. Nahed Al Essa mit ihren Kindern Naya und Kays, Foto: Christel Heinisch Von Nahed Al Essa Es gibt so viele Frauen, gerade aus meiner Heimat Syrien, die einfach den Mund halten. Sie trauen sich nicht, etwas zu sagen. Sie leben mit einem Finger auf ihrem Mund. Aber so ändern wir nichts. Ich möchte meinen Mund nicht halten. Nour Alzoubi

RkJQdWJsaXNoZXIy NDcxMjk=