Neu in Deutschland - Nr. 10

Meine Kinder konnten anfangs nicht glau- ben, dass sie zur Schule gehen sollten, ob- wohl es noch Nacht war! Woher sollten sie wissen, dass ein neuer Tag begonnen hat- te, wenn es draußen kein Anzeichen dafür gab? Sie waren neu in Deutschland und morgens war es sehr, sehr dunkel, wenn wir aufstanden. Wo war der neue Tag? Inzwischen haben sie sich daran gewöhnt. Nur mich selbst kann ich noch nicht davon überzeugen, dass der Tag beginnt, wenn draußen noch Nacht ist. Das Wetter über- treibt doch! Über mir hängt ein enormer, dunkler, grau- er Himmel wie aus Baumwolle. Im Wetter- bericht gibt es dafür immer wieder nur ein Wort: Es ist bedeckt. Es wird bedeckt sein. Es bleibt bedeckt. Wovon wir bedeckt wer- den, das wurde nicht berichtet. Mein Problem ist, dass ich im heiteren Teil der Welt aufgewachsen bin, wo die Sonne jeden Tag an die Fenster klopft. Sie ist un- ser göttlicher Wecker. Tag für Tag. Tag für Tag fühle ich mich, als hätte mich jemand in ein Baumwollbündel gepackt und weggerollt. Aber meine Haltung bleibt gerade und ich kämpfe weiter, mit meinen Von Nahed Al Essa nahed.aleesa@gmail.com Das Wetter übertreibt doch! eigenen Farben... Vielleicht hat es gar nichts mit dem Wetter zu tun, dass mir im- mer kalt ist und mein Körper zittert. Vielleicht habe ich nur selbst meine eigene Sonne auf der Flucht verloren. Vielleicht lässt die Sehnsucht mich zittern, sie lässt nicht ab von mir. Es könnte noch vieles andere sein. Aber kalt ist mir auch und es ist dunkel. Damit übertreibt das Wetter hier wirklich! 20. Dezember 2017, kurz vor Mitternacht Die Erinnerung in den Knochen Mein Herz versinkt zwischen meine Füße, es klopft 1000 Mal in der Sekunde. Wer mich anschaut, könnte meinen, ich hätte einen Geist gesehen. Aber vor mir steht ein Schaffner, lebendig, mit einem Lächeln sogar. Diese Angst, die in mich fährt, wenn sich eine Person in Uni- form vor mich stellt, kann ich meinem Kör- per nicht abgewöhnen. Natürlich habe ich immer eine Fahrkarte, aber das spielt keine Rolle. Die Erinnerung an beängstigende Kontrollen mit willkürlichen Strafen steckt mir in den Knochen. Dabei habe ich meine Heimat vor fünf Jahren verlassen. Bin ich schon hier – oder ist ein Teil von mir noch dort? Entschuldigung, Onkel Schaffner, dass ich Dich so erschrocken ansehe, wenn wir uns treffen! Von Nour Alzoubi noor1998nz@hotmail.com Nahed Al Essa, Foto: Sami Omar Nour Alzoubi, Foto: Wolfgang Wedel 23 Ic h staune üb er die Kraft und Präsenz der Frauen in Europa. www.nid-zeitung.de zeitung über flucht, liebe und das leben neu in deutschland „Ich komme aus der Stadt des Jasmins...“ Schreiben im Exil - heute und damals Sonntag, 28. April, 19 Uhr Lutherhaus, Wittener Straße 242, Bochum mit Nahed Al Essa, Issam Al-Najm, Brigitte Sonntag, Felix Zulechner, Siegfried Kühn, Serbest Jajan, Marcel Schäfer Eintritt frei www.wortsinnweisen.bplaced.de VERANSTALTUNGSTIPP! Leben und Ankommen Familienfilme aus dem Ruhrgebiet gesucht: Haben Sie noch alte Schmalspurfilme (z.B. Super 8) aus Ihrer Kindheit, von den Eltern oder den Großeltern? Interkultur Ruhr sammelt Erinnerungen zum Thema „Leben und Ankommen im Ruhrge- biet“. Projektträger: Regionalverband Ruhr. Kontakt: filmbude@geschichtskultur-ruhr.de, Telefon: 0201 / 9466 4954 www.interkultur.ruhr/familienfilm

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