Neu in Deutschland - Nr. 11

Jeder Mensch hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern 12 Ich möchte von zwei Ereignissen erzählen: In unserer Zeitung habe ich 2016 einen Text darüber geschrieben, dass viele Deutsche sich zur Begrüßung umarmen – und dass ich selbst unbedingt auch einmal umarmt werden wollte, um das Gefühl zu haben, dazu zu gehören. (nid-zeitung.de/die-deut- sche-umarmung) In meinem Heimatland ist diese Geste undenkbar, vor allem zwischen Männern und Frauen. Auf meinen Text habe ich sehr viele wun- derbare Reaktionen bekommen. Die Deut- schen lachen überrascht und viele nehmen mich spontan freundschaftlich in den Arm, wenn ich den Text öffentlich vortrage, was mich sehr glücklich macht! Von meinen Landsleuten erntete ich für diesen Text Spott, Hohn und Verachtung. Sogar ein Freund von mir schimpfte: „Du versuchst die ganze Zeit, Dich zu „deutschisieren“ und verlässt immer mehr unsere Traditi- on!“ Besonders krass wurde es, als ich meinen Text in den sozialen Medien prä- sentierte (auf einer deutschen Seite, die allerdings vor allem von arabischsprachi- gen Usern benutzt wird). Ich wurde mit Worten beschimpft, die ich hier nicht wie- derholen kann. In Deutschland habe ich gelernt, dass jeder Mensch das Recht hat, seine Meinung frei zu äußern. In unserem nid-Zeitungsteam sprechen wir oft darüber, wie wir unsere Meinung ausdrücken kön- nen, ohne anderen auf die Füße zu treten. Als im Mai der muslimische Fastenmonat Ramadan begann, schrieben mehrere aus unserem Team auf unserer Internetseite Texte darüber, wie sie diese Zeit gestalten und warum sie fasten. Ich schrieb, dass ich mit diesem islamischen Ritual aufgewach- sen bin. Dass ich heute aber nicht mehr faste und mich auch nicht mehr als Mus- lim bezeichne. Mein Wunsch ist, „dass die Gläubigen ihre Religion in ihren Herzen tra- gen, nicht nach außen.“ (nid-zeitung.de/ ich-sehe-das-kritisch) Von meinen Lands- leuten wurde ich daraufhin in den sozialen Medien in einer Weise beschimpft, die mir unheimlich war. Ich wünsche mir, dass ich hier in einer Ge- sellschaft leben kann, in der unterschiedli- che Meinungen und Überzeugungen ohne Schimpf und Schande ausgehalten werden – auch von mir selbst. Ähnlich negative Erfahrungen machten auch andere Personen aus unserem Team: Interviews und andere Beiträge aus deut- schen Redaktionen wurden über die sozi- alen Medien geteilt und in einzelnen Grup- pen uferlos und hässlich kommentiert. Wo fängt Meinungsfreiheit an, wo hört sie auf? Im nid-Manifest schrieben wir im Mai 2017: „Jede friedliche Meinung wird respektiert.“ Respektlose Äußerungen, Beschimpfun- gen und Drohungen gehören nicht dazu. In Deutschland herrscht Religionsfreiheit und zum nid-Team gehören Menschen unter- schiedlicher religiöser und politischer Über- zeugungen. Das finden wir gut. Das wollen wir genau so erhalten. Demokratie ist die einzige politische Grundhaltung, die gelernt werden muss – immer wieder, tagtäglich und bis ins hohe Alter hinein. Oskar Negt, deutscher Sozialphilosoph mit Fluchterfahrung Von Khaled Al Rifai Demokratie wird durch Menschen gestaltet, die in Freiheit gestalten können. aus: „Politik wagen“ Ein Argumentationstraining“, hrsg, von Klaus-Peter Hufer u.a., Wochenschau Verlag. Wenn von Flucht und Integration gesprochen wird, tauchen meist Bilder von jungen arabischen Männern mit muslimischen Überzeugungen auf. Ich bin über 30, eine Frau, kurdisch, geflüchtet und ich habe ein kritisches Verhältnis zum Islam. Wo tauche ich auf? aus dem nid-Team Die christliche Religion hat sich durch Kritik weiterentwickelt. Sinnvolle Kritik kann uns nach vorne bringen. Menschen entwickeln sich. Ideen entwickeln sich. Ohne Entwicklung sterben die Ideen. Issam Alnajm Kritik ist in Deutschland nicht strafbar - sie ist sogar erwünscht. Beleidigungen sind strafbar. Issam Alnajm Die Texte und Themen in der nid-Zeitung werden im Team diskutiert. Hier: Lamia Hassow (Mitte) mit Issam Alnajm und Dorte Huneke-Nollmann

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