Neu in Deutschland - Nr. 12

3 Foto: AStA FH Dortmund In meinem Leben möchte ich laufen können Mut und Liebe In den kurdischen Gebieten, in denen ich aufgewachsen bin, gibt es die Redewen- dung „Endlich hast Du den Wolf getötet!“ Wir sagen das, wenn jemand eine Arbeit erledigt hat, die er oder sie vorher lange aufgeschoben hat. Auch ich möchte mei- nen Wolf umbringen! Deswegen sitze ich heute hier, vor meinem Kleiderschrank. Auf ein Neues, lieber Kleiderschrank! Die „Mission Impossible“, vor der ich ste- he, lautet: Befreie mich von der alten, ver- brauchten Kleidung. Die alten Sachen hal- ten mich davon ab, neue zu kaufen. Denn in meinem Kopf ist immer der Gedanke: mein Schrank ist voll, ich brauche nichts. Aber die Kleidung in meinem Schrank ist alt, nutzlos und nimmt viel Platz ein. Ich brauche Klei- dung, die passt, mich warmhält und in der ich mich frei bewegen kann. Es fällt mir schwer, diese Mission zu erledi- gen. Meine alten Sachen führen einen emo- tionalen Krieg mit mir. Soll ich diesen Pul- lover wirklich wegwerfen? Und das Kleid? Oh, nein! Der Pullover erzählt viele schöne Dinge, die wir zusammen erlebt haben. Das Kleid lässt mich nicht in Ruhe. Ein guter Freund hat es mir geschenkt. Kann ich es einfach so weggeben? Mein ganzes Leben ist wie mein Kleider- schrank: Ich bewahre viele Erinnerungen und Freund- schaften auf. Weil sie zumir gehören. Weil Treue, Liebe, Freundschaft, Familie und eine religiöse Überzeugung mich daran festhalten las- sen. Oder eine Kraft, von der ich nicht weiß. Diese persönlichen Bezie- hungen führen den gleichen Krieg mit mir. Was mache ich mit den freundschaft- lichen und familiären Bin- dungen, in denen ich mich weder vor noch zurück bewegen kann? Als steckten meine Füße in Beton. Was mache ich mit den Menschen, die mir Trauer und Tränen geben, anstatt Freude? Ich habe Frieden geschlossen mit diesen Fragen, ich habe den Wolf getötet. In meinem Leben möchte ich laufen können, mit freien Füßen. Es kann nicht alles zu mir passen. Manches lässt sich umnähen. An- deres nicht. Nur in meinem Kleiderschrank läuft der Wolf noch frei herum. Aber eines Tages werde ich ihn kriegen. hassow-l@hotmail.com Von Lamia Hassow Von Issam Alnajm Dass ich mit einem kleinen Boot das Mit- telmeer überquert habe, obwohl ich nicht schwimmen kann, war wahrscheinlich mu- tig. Aber ich habe das nicht gefühlt. Mein Ziel, ein Zuhause zu finden, lag klar vor mei- nen Augen. Mutig ist es, sich auf die Liebe einzulassen. Und noch mehr Mut braucht es, um eine Frau, die Du sehr liebst, gehen zu lassen. Ich habe das Glück erfahren, eine große Lie- be gespürt. Diese Liebe ließ mich Gedich- te über die Liebe und Briefe an die Liebe schreiben. Ich bin in meinem Herzen offe- ner und mutiger geworden. Dieses Erleben macht mich stolz, eine so große Liebe ge- ben zu können. Ich nehme meinen Mut, um diese Sätze aufzuschreiben, weil ich eine Dankbarkeit in mir trage, von der ich erzählen möchte. Die Liebe will nicht verharren, sie will wei- ter nach vorne, und manchmal müssen wir sie ziehen lassen. Die Liebe hat mein Leben bunt gemalt und mir Kraft gegeben, wir ha- ben zusammen gelacht, geweint, geträumt. Aus einer Freundschaft wurde Liebe, aus der Liebe wurde Freundschaft. Die Liebe ist keine Entscheidung, sie lässt keine Entscheidung zu, ob wir lieben wollen. Die Liebe ist eine Revolution. Einen geliebten Menschen gehen zu lassen, aber die Liebe zu behalten, das ist Mut. Ich bin über dieses Meer gefahren und heil an- gekommen. Ich kann weiter leben, weiter lieben. fidel.7@live.com Lamia Hassow bei einer Lesung an der FH Dortmund.

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