Neu in Deutschland - Nr. 10

Mahmoud: Der Hauptbahnhof ist riesig! Als wir dort ankamen, hatten wir das Gefühl, ein neues Land zu betreten. Rashed: Ach, und so kalt war es! Was hast du nochmal über die Sonne gesagt? Mahmoud: Die Sonne in Berlin ist wie eine Lampe im Kühlschrank. Sie leuchtet, wärmt aber nicht. Aber die Menschen wa- ren richtig nett! Wirklich? Den Berlinern wird ja nachgesagt, dass sie eher unfreundlich sind! In den Ca- fés muss man laut rufen, damit man endlich etwas bestellen darf und wenn man in Ber- lin jemanden nach dem Weg fragt, gehen die Leute einfach weiter... Mahmoud: Ja? Kann sein. Wir hatten Goo- gle Maps... Rashed: Viele haben freundlich mit uns ge- sprochen. Mahmoud: Sogar der Mann am Reichstag, der uns sagte, dass wir warten müssten. Na, immerhin seid ihr reingekommen! Vor einem Jahr, als wir mit unserem Team den damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert in seinem Büro besuchten, waren alle im Team noch extrem erstaunt darüber, dass wir da so einfach hingehen konnten. Jetzt spaziert ihr mit aller Selbstverständ- lichkeit ins Bundestagsgebäude hinein...! Mahmoud: Die Aufschrift am Reichstag „Dem deutschen Volke“ hat mir sehr gefal- len! Rashed: Übrigens haben wir jeden Tag ein Tagesticket gekauft und sind kein einziges Mal kontrolliert wollten... Mahmoud: Aber wir waren schlauer als vie- le Touristen! Wir haben für unser Ticket nur 7 Euro bezahlt und haben die ganze Stadt gesehen. Rashed: Ja, stimmt. Andere zahlen für eine Fahrt im Touristenbus 20 Euro und sehen nicht so viel! Wir sind Syrer – aber keiner kann über uns lachen! Und wie waren die Filme, wie war der Workshop? Mahmoud: Der Workshop war toll. Alle ha- ben viel gelacht. Mir hat auch gut gefallen, dass wir zusammen gekocht haben. Eini- ge Filme waren schrecklich. Das haben wir auch geschrieben. Rashed: Du erinnerst dich aber auch, dass wir im Kino gut geschlafen haben!? Mahmoud: Du hast übrigens geschnarcht! Rashed: Schreiben wir das? Mahmoud: Natürlich! Rashed: Nur sprachlich war es beim Work- shop nicht ganz einfach. Was, wieso? Habt Ihr plötzlich Euer tolles Deutsch verlernt? Rashed: Nein. Die meisten haben Englisch gesprochen. Mahmoud: Fast überall wurden wir auf Englisch angesprochen! Auch im Reichs- tag. Die Leute waren sehr erstaunt, wenn wir sagten, dass wir lieber Deutsch spre- chen. Wenn ich mit dem Deutschen durch bin, werde ich Englisch lernen! Rashed: Und weißt du, was ich dachte, wenn wir mit Leuten über die Berliner Ver- gangenheit sprachen, über die Mauer und die zwei Teile der Stadt nach dem Krieg...? Ich bekam plötzlich ein sehr schönes Ge- fühl. Nämlich dass wir Syrer, wie die Deut- schen, unser Land eines Tages wieder auf Und aus einem Land im Krieg wird ein Land im Frieden... 14 Im Februar 2018 nahmen Rashed Alalej und Mahmoud Aldalati vom nid-Team in Berlin an einem Schreibworkshop rund um das Berli- nale-Filmfestival teil. Für beide war es die erste Reise in die deutsche Hauptstadt. bauen können, von Anfang an. Und aus einem Land im Krieg wird ein Land im Frie- den, so wie Deutschland. Mahmoud: Ja, irgendwann wird Syrien wie- der aufgebaut. Wenn die Mächtigen von heute weg sind und wir Unterstützung aus anderen Ländern bekommen. Interessant ist ja, dass in Berlin überall etwas Histori- sches passiert ist. In jeder Straße ist eine Geschichte entstanden. Wir haben auch ein altes Stück von der Mauer gesehen. Die Mauer war gar nicht so hoch, wie ich dachte, und sie trennte eine ganze Stadt. In der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 wurde in Berlin mit dem Mauerbau begonnen: Grenzpolizisten der damaligen DDR rissen das Straßenpflaster auf, errich- teten Barrikaden aus Steinen und zogen Stacheldraht quer durch die Stadt. Rashed: Am Potsdamer Platz gibt es tolle, neue Gebäude, aber die meisten sind aus Glas und ich habe mich gefragt, was wohl in einem Krieg mit ihnen geschehen würde, wenn eine Rakete oder eine Bombe sie trä- fe. Wie Mehl würde alles zusammenfallen. Mahmoud: Zum Frühstück und zum Abendessen waren wir allerdings fast je- den Tag auf der „Arabischen Straße“. So nennen die Araber in Berlin die Sonnenal- lee in Neukölln, weil dort fast nur Arabisch gesprochen wird. Rashed Alalej (rechts) und Mahmoud Aldalati vor dem Reichstagsgebäude in Berlin.

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