Neu in Deutschland - Nr. 11

19 Von den Bildern in meinem Kopf Ich war so fremd in Deutschland, als ich hier ankam, dass ich nicht einmal wusste, wo man hier Stifte kaufen kann. Dabei rief meine Architektinnenseele in mir laut danach, zu zeichnen. Vielleicht weil ich alles andere um mich herum so wenig verstand. Das Schicksal meinte es gut mit mir: In unserer Flüchtlingsunterkunft gab es in einem Raum eine Malecke für Kinder, und dort waren Stifte. Im Internet hatte ich zu dieser Zeit die Bilder von Gustav Klimt entdeckt, die mich sehr faszinierten. Mittlerweile hatte ich herausgefunden, wo ich Canson®-Papier bekommen konnte, und die Farben Gelb und Braun. Von den Bildern in meinem Kopf und den Gefühlen in mir selbst ließ ich mich leiten. Ich vermisste meine Mutter und fing an, eine Frau zu zeichnen... Die Frau in der Welt. Wer ist die Frau – in den Augen der Welt? Das Bild, das links zu sehen ist, habe ich vor über drei Jahren gemalt. In Hattingen gab es damals eine Ausstellung zum Muttertag. Mein Bild durfte dort hängen – für meine Mutter. Meine Schaukel Von Dima Halabi und ich spüre ein Zittern in meinem Körper. Denn es gab diesen einen Tag, an dem wir unser Haus verließen – nicht, um zum Haus meiner Großmutter zu fahren, und nicht, um nach drei Tagen dorthin wieder zurück- zukehren. Von Hiba Hasan Von Hiba Hasan gemalt Hiba Hasan bei einer nid-Lesung in Dortmund Meine Geschwister und ich konnten es je- des Mal kaum erwarten, wenn mein Vater ankündigte, dass wir meine Großmutter besuchen würden. Meine Oma hatte ein großes Haus mit einem schönen bunten Garten voller Blumen und Sträucher. Meis- tens blieben wir etwa drei Tage dort und in meiner Erinnerung verbrachte ich die kompletten drei Tage auf einer Schaukel, die im Garten von einem Baum herabhing. Die Schaukel verließ ich höchstens, um mit den anderen Kindern, die dort waren, ein Wettrennen zu machen. Diese Tage waren ein einziges großes Abenteuer für mich. Für meine Mutter bedeuteten diese Tage viel Arbeit, denke ich. Wir Kinder waren immer hungrig und unsere Kleidung war immer schmutzig. Manchmal musste ich um meinen Platz auf der Schaukel kämp- fen, weil auch die anderen Kinder dort sit- zen wollten. Wenn ich es schaffte und die anderen Kinder zum Spielen woandershin gingen, bewegte ich mich langsam hin und her. Die Schaukel war nämlich genau vor dem Wohnzimmerfenster und von drinnen konnte ich die Stimmen der Erwachsenen hören. Was sie sagten, interessierte mich nicht sehr, aber der fröhliche Klang ih- rer Stimmen gab mir ein sicheres Gefühl. Wenn mein Vater ankündigte, dass es Zeit war nach Hause zu fahren, verabschiedete ich mich traurig von meiner Schaukel. Aber ich glaube, ich habe damals nicht einmal eine Träne geweint, weil ich wusste, dass wir bald wieder solche Tage verbringen würden. Wenn ich heute an das Holz den- ke, aus dem meine Schaukel gemacht war, und an die Stimmen, die aus dem Haus ka- men, dann klopft mein Herz bis zum Hals Dima Halabi Im Mai besuchte das nid-Team eine Lesung des österreichischen Autors Robert Menasse in Bochum. Issam Alnajm erhielt dieses Autogramm auf unsere Zeitung: Die Sehnsucht jedes Menschen ist ein Leben in Friede, Freiheit, Rechtszustand - und nicht: Nationale Identität. Robert Menasse

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